So managst Du deine Angst

Mal ehrlich: Jeder kennst das Gefühl der Angst. Aber obwohl es fast jeden nervt, gibt es kein Allheilmittel. Manchmal wünscht man sich eine Tablette, einen Tee oder einen Schalter, den man dazu umlegen kann. Die Wahrheit ist, jeder muss seinen Weg gegen die Angst finden. 

Artikel von Brigitte Jülich

123rf.com | 104901480 | Sebastian Leesch
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Es gibt verschiedenste Ängste im Beruf und im Alltag. Generell haben alle jedoch mit Verlustangst, Perfektionismus, Überforderung und zu großem Harmoniebedürfnis zu tun. Unabhängig von der aktuellen Wirtschaftslage haben viele Menschen Angst, nicht gut genug zu sein. Mit ihrer Leistung nicht den Ansprüchen zu genügen und somit von anderen Werktätigen überholt zu werden oder den Chef zu verärgern. Bin ich noch gut genug?

 

Viele Ängste gehen in Richtung Überforderung. Also „Wie soll ich das alles nur schaffen?“ und „Das wird mir alles zu viel!“ und die daraus resultierende Lähmung und Unsicherheit, welche Konsequenzen zieht das nach sich. Ängste haben mit schwierigen Kollegen, Kunden oder Vorgesetzten zu tun: Gegen den kann ich mich nicht wehren. Der brüllt mich wieder nur an. Wie soll ich mit dem umgehen? Wie schaffe ich es, dass mich der nicht ständig so verunsichert? Und dann gibt’s natürlich noch die „kleineren“ Ängste wie Angst vor Präsentationen, schwierigen Gesprächen oder Gehaltsgesprächen.

 

Renate. Mit ihren Ängsten kam sie zu mir.

Damit ich anschaulicher über das Thema Ängste berichten kann, lasse ich hier Renate zu Wort kommen, was ihr zu schaffen machte. Sie ist 40 Jahre alt, ledig und wohnt mit ihrer Katze zusammen. Sie hat studiert und arbeitet als ITler in. Ihre berufliche Situation macht ihr Bauchschmerzen. Von ihrem Chef fühlt sie sich nicht anerkannt. Obwohl sie in leitender Funktion arbeitet, bleibt sie unsicher. 

 

Bei ihren Mitarbeitern kommt sie unterschiedlich an. Einige finden ihren Umgangston barsch und oberlehrerhaft. Sie sagt selbst, sie finde einfach nicht den richtigen Ton. Sie ist unzufrieden mit ihrer Arbeitssituation. Das spiegelte sich leider auch im Alltag wider. Es macht ihr einfach keine Freude. Im Grunde könnte sie kündigen, wenn da nicht so viel dranhängen würde. 

 

Ihre Ängste ließen sie nicht los. Alleine schaffte sie es nicht. Gerade nachts ließen sie ihre Ängste wach bleiben. Sie stehe immer wieder auf und fühle sich dann morgens wie gerädert. Sie habe alleine keine Idee, was und wie sie die Situation ändern könnte. Das ist auch der Grund, warum ihre Ängste zugenommen haben. Es sei wie ein Hamsterrad ohne Ausgang. Im Grunde bräuchte sie jemanden, der sie an die Hand nehmen würde. 

Über ihre schwarzen Tage mit der Angst möchte sie eigentlich nicht sprechen! Sie fragt sich, was sie tun soll? Und genau da ist der Anknüpfungspunkt.  Deshalb habe ich Renate mehrere Methoden angeboten.  Rollenspiel war eine Methode davon. Damit hatte sie konkret die Möglichkeit, sich in ihren Chef und in die Mitarbeiter hineinzufühlen, um Lösungsmöglichkeiten zu finden. Mit Meditation und dem Resilienz-Training hat sich ihr Schlaf- und Körpergefühl verbessert. Ihr Ergebnis habe ich in fünf handfesten Tipps zusammengefasst.

Renate hat gelernt:

  1. Wie sie spricht, um authentischer zu wirken.
  2. Gespräche mit ihrem Chef und ihren Mitarbeitern bereitet sie mit unserer Methode vor.
  3. Wenn Ängste wieder hochkommen, kann sie mit Meditation und Resilienz entgegen wirken.
  4. Wenn sie sich genervt fühlt weiß sie jetzt, dass sie über ihre Grenze gegangen ist.
  5. Sie bezieht ihren Körper im Alltag mit ein.

Angstzustände per Knopfdruck?

Manche Menschen greifen in Phasen wie diesen zu Medikamenten. Aber da ist Vorsicht geboten. Leider lösen Medikamente nur kurzfristig die Angst. Denn das ursächliche Problem ist keineswegs gelöst. Es ändert sich ja grundsätzlich nichts an der Ursache und den Vorstellungen, vor denen man Ängste entwickelt. Wir alle wünschen uns in der Tat einen Knopf, auf den wir drücken können, und alles ist wieder gut. Leider gibt es diesen Knopf nicht.

 

Was hilft bei Ängsten?

Durch meine 35- jährige Erfahrung auf diesem Gebiet sage ich klipp und klar, es helfen Gespräche. Wie immer man sie nennen wird, Gespräche helfen. Im zweiten Schritt schaut man dann, was braucht derjenige. Wäre ein Coaching oder eine Psychotherapie hilfreich?

 

Ein anderes Beispiel bei Ängsten. Gerda soll eine Präsentation halten.

Gerda, eine Mittvierzigerin und im sozialen Beruf tätig sollte einen Vortrag halten. Ein Fachthema, was sie beherrschte. Fachlich hatte Gerda den Stoff drauf. Je näher der Tag der Präsentation kam, desto größer wurde das Gespenst Angst. Es saß förmlich in ihrem Nacken.

 

Gerda fand nachts nicht mehr in den Schlaf. Sie stand immer wieder auf, ging durchs Haus, legte sich wieder hin, stand wieder auf, sodass sie morgens wie gerädert zur Arbeitsstelle fuhr. Den Mitarbeitern fühlte sie sich in dem Moment nicht mehr gewachsen. Ihr Umgangston wurde immer schroffer. Keiner konnte es ihr recht machen.

Sie biss die Zähne zusammen, bis es knirschte. Ihr Herz raste und die Angst krabbelt ihren Hals herauf.

 

Kennst du auch solche Angstgefühle? Warst du ihnen schon ausgesetzt? Kennst du schlaflose Nächte? Hättest du dir auch diesen Ausschalter gewünscht? Das „Kopfkino“ lässt sich leider nicht ausdrehen. Der Schalter zum Ausknipsen fehlt. 

 

Was für Ängste gibt es?

Neben vielen alltäglichen oder beruflichen Ängsten gibt es noch 100 spezifische Variationen wie Platzangst, Höhenangst, Prüfungsangst, Flugangst, Redeangst, Verlustangst, Bindungsangst, Existenzangst, soziale Phobie, Panikattacken uvm. Wikipedia listet mehr als 500 Typen der Phobie.

 

Mein Umgang mit dem Zauberstab bei Ängsten

Für Gerda näherte sich der Termin für die Präsentation. Weil die Zeit drängte und sie nur noch ein Häufchen Elend war, habe ich ihr den Zauberstab-Trick erklärt.

 

Man nimmt eine Eieruhr, dreht sie auf 60 oder 30 Minuten. Wenn die Uhr läuft, stellt man sich die schrecklichsten Dinge vor, die passieren könnten: In Ohnmacht fallen, Wortfindungsstörungen, stottern, rot werden, alle Zuhörer tuscheln über dich oder aus dem Raum gehen. Wenn die Uhr klingelt, gibt es kein Grübeln. Du sagst dann einfach Stopp.

 

Das ist mal eine schnelle Lösung, bedarf aber einer weiteren Bearbeitung der Angst. Grundsätzlich ist ja nichts verändert worden. Die Ursachen sind also geblieben. Vielleicht ist das auch ein Tipp für dich, allerdings ohne Gewähr.

 

Gerdas Befürchtungen während der Präsentation

Gerda hatte Sorgen, dass die Präsentation nicht klappen könnte. Es wäre ratsam, die Gedanken auf Erfolgs-Visionen umzulenken. Wenn wir uns auf das Positive konzentrieren, wird es eher eintreffen. Denn sonst schicken wir das Negative ins Universum und zu uns zurück.

 

Im Gehirn werden dafür entsprechende Verknüpfungen gelegt, die unsere Gedanken und leider auch die Befürchtungen eintreten lassen. Das wollen wir auf keinen Fall! Wir möchten dem kleinen Mann im Ohr verbieten, uns solche negativen Dinge zu sagen. Wir sollten den Mann im Ohr adoptieren und ihm sagen: “ Ach, Du schon wieder. Wollen wir heute einmal etwas anderes versuchen?“

 

Lösungsorientiertes Umgehen mit Angst ist das Zauberwort.

 

Die Angst lässt sich nicht verleugnen. Ängste schleichen sich an allen Ecken, Enden und zu den unmöglichsten Zeiten ein. Besonders gern dann, wenn wir sie überhaupt nicht gebrauchen können. Der Horror kommt sowieso, geben wir ihm also Raum – einen Raum für sich ganz allein. Gönnen wir ihm eine volle Viertelstunde! Eine Viertelstunde Horror und dann ist aber Schluss!

 

Positive Verstärkung bei Angst

Gerda hatte die Präsentation gut vorbereitet. Sie hatte ihre Freundin zur Probepräsentation eingeladen und mit ihr geübt. Es funktionierte gut. Zur eigentlichen Präsentation hatte sie vorsichtshalber ihren Ersatzlaptop eingepackt. Sie war gebrieft und fühlte sich wackelig auf den Beinen und trotzdem gut. Für den Fall, dass jemand sagen würde, sie sei schlecht, zu verstehen, bittet sie ihn, weiter vorne Platz zu nehmen. Also war sie auf fast alle Eventualitäten gut vorbereitet.

 

Und immer, wenn eine Horrorvision durch die Hintertür zurück schleicht, sagt sie: „STOPP. Die Angst hatten wir schon. Punkt! Andere positive Gedanken sind erwünscht. Und ein Anker befindet sich in der Jackentasche. Anker können Murmeln, Knöpfe, Steine oder ähnliche Dinge sein, die einen bei Aufregung beruhigen.

 

Gerda hat ihre Angst besiegt

Was soll ich sagen? Gerda hat ihre Präsentation gut gemeistert. Sie hat viel Applaus für ihren Vortag geerntet.

Sie ist nach wie vor Stolz auf sich. Sie ist ihren Ängsten auf die Spur gekommen. Und sie hätte nicht gedacht, dass sie ihre Zuversicht so rasch zurückgewinnen würde. Jetzt spürt sie wieder die Kraft, die sie verloren glaubte.

Das ist natürlich nicht nur mit der Eieruhr geschehen. Für sie hat es sich gelohnt, genau hinzuschauen.

 

Denk dran, wenn Ängste bedrohlich werden, dann hole dir Unterstützung von außen. Coaching oder Psychotherapie sind inzwischen salonfähig. Ängste sind alltäglich! Es kommt uns nur so vor, dass wir alleine darunter leiden würden. Es stimmt aber nicht. Wenn wir uns trauen, uns jemanden anzuvertrauen, ist schon die halbe Miete bezahlt.

 

Weg der kleinen Schritte

Wenn man sich nun seiner Angst stellen und sie überwinden möchte. Wie sollte man am besten vorgehen?

Hier plädiere ich für den Weg der kleinen Schritte.

  1. Schauen Sie hin und laufen Sie nicht weg! 
  2. Holen Sie sich Unterstützung!
  3. Testen Sie ein verändertes Verhalten in Situationen, die nicht ganz so dramatisch sind.
  4. Und gehen Sie liebevoll und achtsam mit sich selbst um!

Warum ist es so einfach, Steuerberater für die Steuererklärung, die Kfz-Werkstatt fürs kaputte Auto oder den Arzt für meine Schmerzen in Anspruch zu nehmen – nur für mein Seelenleben möchte ich keine fremde Hilfe?

Der Coach kann ein guter Partner sein, ein Feedback-Geber, ein Alternativen-Aufzeigen, ein Zuhörer, ein Die-Richtigen-Fragen-Steller, ein Anstupsen, ein Ideen-Geber. Machen Sie es sich nicht so schwer – dafür sind Coaches da. Oft „reicht“ ein Coach – wenn er gut und verantwortungsvoll ist auch wenn stattdessen eine Therapie angesagt ist.

 

Fangen Sie einfach an!

Nicht grübeln sondern starten. 

 

Autorin: 
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